Democracy & War Online

Informations-Plattform zum Hauptseminar "Demokratischer Frieden - Demokratische Kriege" am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin im Wintersemester 2005/06

29.1.06

Privatisierung und Kommerzialisierung des Krieges?

Sitzung am 31.01.2006

Private Sicherheitsfirmen (PSCs) sind private Unternehmen, die nach marktwirtschaftlichen Handelskalkülen Sicherheits- und Militärdienstleitungen anbieten. D.h. sie arbeiten gewinnorientiert, sind hochgradig professionalisiert und privatrechtlich organisiert.
Versuche einer Unterscheidung und Kategorisierung von PSC´s gestalten sich auf Grund des weiten Aufgaben- und Angebotfeldes äußerst problematisch.
Singer versucht PSCs nach dem Grad ihrer operativen militärischen Tätigkeiten- zwischen „the Tip and the end of the Spear“ zu kategorisieren. Die Nähe zum Kriegsgeschehen sagt jedoch nichts über den Einfluss der PSCs aus.
Holmqvist plädiert deshalb für eine Unterscheidung nach Deborah Avant, die die Verträge von PSC´s als zentrale Analyseeinheit vorschlägt.
Diese und weitere Kategorisierungsversuche schaffen es nicht das Phänomen PSCs vollständig zu erfassen.

Neben der Probleme einer Kategorisierung der PSCs stellt sich die Frage nach den Folgen des Outsourcing (top down) von Sicherheitsaufgaben. D.h. welche Folgen hat der Wandel von Sicherheit als öffentliches Gut hin zu einem privaten selektiven Gut?
Aufgrund der Beteiligung von PSCs an Kriegen lässt sich empirisch eine Veränderung der Dynamik derselben bis hin zu einer Verlängerung feststellen.
Außerdem entstehen im Zuge der Privatisierung und Kommerzialisierung von Sicherheit neue Märkte, auf denen Sicherheitsleistungen von PSCs angeboten werden und von u.a. Staaten, NGOs und transnationalen Unternehmen nachgefragt werden. Es besteht die Gefahr, dass sich diese Märkte versselbstständigen. Aufgrund einer möglichen Spezialisierung von PSCs auf z.B. Kriege gegen Schurkenstaaten besteht die Gefahr, dass dieser Kriegstyp zukünftig über einen anderen Kriegs- bzw. Konflikttypen (z.B. neue Kriege od. innerstaatliche Konflikte) dominiert.
Dies führt zu einer Veränderung des Kriegsverhaltens der demokratischen Staaten.
Stellen diese Entwicklungen das Gewaltmonopol des Staates in Frage?
Des Weiteren stellt sich die Frage nach der rechtlichen Regulierung bzw. Normierung der PSCs.

In einem dritten Teil wollen wir ausführen inwieweit die Zunahme der PSCs die normative, rationalistische und institutionalistische Erklärung des Demokratischen Friedens beeinflusst.
Welche Ziele und Motive bewegen politische Entscheider in Demokratien dazu Sicherheit zu privatisieren und PSCs in Kriegen einzusetzen?
Welche Rolle spielen innerstaatliche Kosten-Nutzen-Abwägungen und machtpolitische Überlegungen bei dem Einsatz von PSCs (z.B. Kostenminimierung, Opferminimierung, Erhöhung der Interventionsfähigkeit).

Folgende Fragen möchten wir deshalb zur Diskussion stellen:

1. Sind Private Sicherheitsfirmen (PSCs) eine ernstzunehmende Gefahr für das empirische Gesetz des demokratischen Friedens?
2. Spielen PSCs bei konventionellen Kriegen eine größere Rolle als bei militärischen Interventionen unterhalb der Kriegsschwelle?
3. Verschleiern PSCs die negativen Folgen des Krieges und verändern so seine öffentliche und politische Wahrnehmung?

22.1.06

Militärstrategische Innovationen

Sitzung am 24.01.2006

Was hat es mit Begriffen wie „intelligenten Präzisionsbomben“ oder „vernetzten Teilstreitkräfte“ tatsächlich auf sich und wie beeinflussen diese militärtechnischen Neuerungen demokratisches Kriegs- und Konfliktverhalten? Die Beantwortung dieser Frage ist das Ziel unseres Referats und der anschließenden Diskussion in der Sitzung am 24. Januar. Die Bedeutung von militärstrategischen Innovationen – in den drei Readertexten von Mölling (2004), Kahl (2004) und Schörnig (2005) als RMA („revolution in military affairs“) zusammengefasst – sowohl für ein Theorem des demokratischen Friedens als auch für die Praxis staatlicher Strategien zur Konfliktbewältigung soll aufgezeigt werden.

Zur Einführung wird das Konzept der RMA und seine Bestandteile, nämlich Aufklärung, Präzision, Datenübertragung und Tarnung erläutert. Besondere Aufmerksamkeit wird der Vernetzung der Waffengattungen und Teilstreitkräfte („netcentric warfare“) und der Bedeutung von Information für die RMA („informationbased warfare“) gewidmet.

Welche Ziele und Motive politische Entscheider in Demokratien dazu bewegen, die RMA zu konzipieren und die Mittel für Planung und Einsatz dieser neue Strategien zu bewilligen, wird im zweiten Teil des Referats beleuchtet. Hier soll gezeigt werden, dass für die politischen Entscheider vor allem innerstaatliche Kosten-Nutzen-Saldierungen und machtpolitische Überlegungen eine große Rolle spielen (z.B. Kostenminimierung, Opferminimierung, Erhöhung der Interventionsfähigkeit).

Anders als in den Planspielen der Politiker und Militärs haben die RMA aber auch negative Folgen, die erst mittelbar oder mit zeitlicher Verzögerung zutage treten. Deshalb ist eine kritische Beurteilung der politischen Folgen der RMA Thema des dritten Referatsteiles. Ein Beispiel: Anhänger der RMA bringen gerne das Argument vor, dass die höhere Effektivität und Spezialisierung hochtechnisierter Truppen einen Ausweg aus dem „security dilemma“ der Atomrüstung darstellt. Sie bedenken aber nicht, dass eine große Asymmetrie zwischen Staaten auf dem Gebiet der konventionellen Truppen den schwächeren Staat dazu verleiten kann, dieses Missverhältnis durch das Erlangen von Nuklearwaffen zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Weitere kritische Faktoren sind z.B. die mangelnde Einbeziehung des Nachkriegsmanagements in das RMA-Konzept (Irak!) oder die Vernachlässigung diplomatischer Mittel zur Beilegung von Konflikten.

Das von seinen Verfechtern so hochgelobte Konzept der RMA hat theoretisch eine große Zahl an negativen Folgen. Einige dieser Folgen haben sich bereits in der Praxis manifestiert, wie das Nachkriegschaos im Irak oder Langzeitschäden durch verstrahlte Präzisionsmunition deutlich machen. Schwerwiegender zu werten sind aber wohl Langzeitschäden sowohl für einen internationalen als auch den demokratischen Frieden. Folgende Fragen möchten wir deshalb zur Diskussion stellen:

1. Inwieweit beeinflusst der Einsatz der neuen Technologien die normative, rationalistische und institutionalistische Erklärung des Demokratischen Friedens?
2. Sind die RMA eine ernstzunehmende Gefahr für das empirische Gesetz des demokratischen Friedens?

Hier noch ein Literaturvorschlag zur Problematik von RMA und Nachkriegsmanagement:

Kagan, Frederick W.: Krieg und Nachkrieg, in: Blätter für deutsche und internationale
Politik 11/2003, S. 1321-1332.

8.1.06

Sitzung am 10.01.06: Liberale Ordnungsansätze

Die Sitzung am kommenden Dienstag ist der Versuch, die beiden letzten Sitzungen quasi in einer Gesamtschau zusammenzudenken. Auf Grundlage der Texte von Müller und Kegley soll der Liberalismus als normativer Ordnungsansatz diskutiert werden.

Nach einem kurzen Rückgriff auf die wichtigsten Antinomien des demokratischen Friedens, wie wir sie bereits in der Sitzung am 6.12.05 besprochen haben, soll dann mit Müller der Liberalismus diskutiert werden. Diesen präsentiert Müller als eine
normative Ordnung, die sowohl den Frieden zwischen Demokratien als auch deren militantes Verhalten gegenüber Nichtdemokratien erklären kann. Beides, so Müller,
entspringt aus dem u.a. bei Kant anhand zentraler Begriffe wie Vernunft, Naturrechte, Rechtsstaat aufgestellten Spannungsverhältnis zwischen Individualismus und Universalismus. Grundsätzlich erwächst aus diesem Spannungsverhältnis nach Müller eine prinzipiell missionarische Haltung, die das "Einmischen" (oder auch die Intervention?) zum Gebot jeder Demokratie macht.

Vor dem Hintergrund dieser - hier nur grob angerissenen - Überlegungen Müllers und unter Berücksichtigung des Textes von Kegley wollen wir drei Fragen mit euch diskutieren:

Frage 1: Sind humanitäre Interventionen mit dem liberalen Weltbild
vereinbar?
Frage 2: Ist der Liberalismus in der Lage, nichtstaatliche Gewaltakteure (z.B. Al Quaida) oder failed states in sein Weltbild mit einzubeziehen, oder sind Staat und Staatlichkeit seine Grundlage und Voraussetzung?
Frage 3: Wie kann es zu einer Veränderung der derzeitigen normativen Ordnung kommen und welche Folgen hätte eine solcheVeränderung?

Ein letzter Hinweis: In der Yahoogroup findet ihr unter "> Dateien > Literatur > Demokratische Kriege" einen Text von Bruce Russett mit dem Titel "Bushwhacking the Democratic Peace", der sich zur Vertiefung für die kommende Sitzung anbietet.

Bearbeitet von Pia, Maurice, Manuel und Daniel

7.1.06

Ergebnisprotokoll vom 03.01.06

1. Überleitung

In der letzten Sitzung haben wir uns mit Harald Müller beschäftigt, der die Antinomien des „demokratischen Friedens“ aufgezeigt hat, nämlich das Paradox, dass die normativ begründete Präferenz zur friedlichen Konfliktlösung in demokratischen Gesellschaften, welche als Grundannahme letztlich allen monadischen Erklärungsversuchen des „demokratischen Friedens“ zugrunde liegt (, wie er darlegt), zugleich die Grundlage für demokratische Kriege bietet: Für Interventionen im Namen der Ermöglichung einer solchen zukünftigen friedlichen Konfliktaustragung innerhalb von als nicht-demokratisch wahrgenommenen Gesellschaften und für Kriege um die „internationale Ordnung“ mit dem gleichen Ziel auf inter- und transnationaler Ebene („wars of human intervention and international order“ Müller, 2003, 27).

Zugleich geht Müller davon aus, dass dieses „demokratische Selbstbewusstsein“ (welches aus der normativ begründeten Präferenz für friedliche Konfliktaustragung hervorgeht) nicht den „eigentliche Grund“ für die von Demokratien geführten Kriege darstellt, sondern dieser oftmals in von ihm so bezeichneten „privaten Motiven“ der Exekutive demokratisch verfasster Gesellschaften liegt, als solche nennt er z.B. das Streben nach Machtvergrößerung oder versteckte ökonomische Interessen (ebd., 2003, 2). Dies bietet auch eine potentielle Erklärung dafür, warum nicht alle Menschenrechtsverletzungen in nicht-demokratisch verfassten Gesellschaften „demokratische Interventionen“ nach sich ziehen, sondern nur manchmal, nämlich dann, wenn sich hierdurch eine politische Gelegenheit bietet, anderweitige Interessen mit militärischer Gewalt zu verfolgen, interveniert wird. Um den Rückhalt in ihrer Bevölkerung zu erlangen und einem Krieg Legitimität zu verschaffen, ist es allerdings notwendig, dass sie es schaffen, diesen im Sinne des „demokratischen Selbstbewusstseins“ glaubwürdig zu begründen (ebd.).

2. Einleitung


Vor dem Hintergrund dieser von Müller angesprochenen Schwierigkeit einer Unterscheidung zwischen den tatsächlichen Gründen und den vorgeschobenen, zur Mobilisierung der demokratisch verfassten Gesellschaft dienenden Gründe und in Verbindung mit der heute im Mittelpunkt stehenden Frage nach der Rolle, die Normen bei der Begründung und Rechtfertigung demokratischer Interventionen spielen sowie bei ihrem Zustandekommen, haben wir drei grundlegende Fragen formuliert; sie weisen auf drei Dilemmata hin, denen eine normative Begründung wie auch eine normativistische Analyse demokratischer Interventionen sich stellen müssen. Die drei Autoren Czempiel (2000), Woodward (2001) und Finnemore (2000) nähern sich diesen Fragen aus unterschiedlichen Perspektiven und mit unterschiedlicher Motivation:

2.1 Grundlegende Fragen


• Kann angesichts der Unklarheit über die eigentlichen Gründe für eine demokratische Intervention, eine solche überhaupt aus der Perspektive der Geltung von bestimmten Normen analysiert, geschweige denn unter Berufung auf bestimmte Normen legitimiert werden?
• Wie kann normativ begründet werden, dass bestimmte Staaten das Recht haben, sich in die „inneren Angelegenheiten“ eines anderen einzumischen?
• Ist es überhaupt normativ zu rechtfertigen, dass militärische Gewalt zur Verteidigung von Menschenrechten eingesetzt wird, wenn diese doch offenbar unweigerlich zur Folge hat, dass Menschen sterben? Werden hier nicht Menschenleben gegeneinander aufgerechnet im Sinne von „im Zweifelsfall bringen wir lieber die einen um, damit sie die anderen nicht umbringen können“?

2.2 Thesen

Bevor wird die Argumentationsweisen und Argumentationslinien der drei Autoren darlegen, hier zunächst drei Thesen von uns, die aus Überlegungen über die verschiedenen Argumente der Autoren gewonnen wurden und die später zur Diskussion gestellt wurden:

• Es ist aus einer analytischen Perspektive nicht sinnvoll, demokratische Interventionen aufgrund ihrer normativen Rechtfertigung oder ihrer normativen Rechtfertigbarkeit als etwas qualitativ zutiefst unterschiedliches von anderen Kriegen zu verstehen.

Dies tut in gewisser Weise auch der normativistische Ansatz von Finnemore, da sie unterstellt, dass die Gültigkeit von Normen, die Bedeutung von Normen für das Handeln, etwas demokratischen Interventionen spezifisches ist, bzw. spezifische Normen – und ihre Konflikte – gerade im Falle demokratischer Interventionen von Bedeutung sind; kann dies angesichts der eigentlichen Motive angenommen werden? Ist es nicht vielleicht sinnvoller, sie einfach als Kriege zu betrachten, in denen zueinander in Konflikt stehende Normen immer eine Rolle spielen, ebenso wie Interessen (vorgeformt durch bestimmte Weltbilder) und eine Mobilisierung, die sich unbedingt den jeweiligen diskursiven Gelegenheitsstrukturen – z.B. demokratisches Selbstbewusstsein – anpassen muss?

Zur Zweiten These: Eine Diskussion, die sich nur um eine Optimierung militärischer Interventionen dreht, verstellt ohne Frage den Blick auf die Suche nach friedlichen Alternativen und insbesondere nach Möglichkeiten der Prävention. Angesichts real stattfindender Menschenrechtsverletzungen, „ethnischen Säuberungen“ und Genoziden stellt sich allerdings die Frage nach Alternativen, wenn diese Gewalt erst einmal stattfindet und an Dynamik gewinnt.

• Für die Möglichkeiten der Planung und der Evaluierung einer militärischen Intervention und den darauf folgenden Peacebuilding-Bemühungen ist es nicht hilfreich, demokratische militärische Interventionen in erster Linie als etwas normativ „Gutes“ zu verstehen oder verstehen zu wollen. Dies verstellt den Blick auf die - vielleicht nicht intendierten – negativen Seiten und Folgen eines militärischen Eingreifens.

Diesen kann entsprechend auch nicht entgegengewirkt werden, indem sie von Anfang an mitgedacht werden, vielmehr entwickelt sich eine militärisch-administrative Logik des Erfolgsdrucks (Intervention, Wahlen, Demokratisierung, Alles wieder im Lot), die blind für negative Auswirkungen des eigenen Handelns, nicht-intendierte „Nebenwirkungen“ und eventuell auch die Unangemessenheit der eigenen Planung wird, da sie schnelle Erfolge des „guten Eingreifens“ präsentieren muss.

Und die dritte These:
• Um überhaupt den Versuch unternehmen zu können, insbesondere demokratische militärische Interventionen im Falle von humanitären Katastrophen als etwas normativ „Gutes“ rechtfertigen und legitimieren zu wollen – wie sinnvoll oder weniger sinnvoll dies auch immer sein mag - braucht man Klarheit über die eigentlichen Gründe für diese militärische Intervention.

Letzteres ist, genau genommen, auch von unserer Seite eine normative Argumentation…

3. Argumentation

Nun genauer zu den Texten von Czempiel (2000), Woodward (2001) und Finnemore (2000) und zwar zunächst zu den:

3.1 Argumentationsweisen

Czempiel bemüht sich, „Intervention als Norm“ zu etablieren und zeigt hierzu zunächst die Berechtigung zur Intervention auf, die seiner Auffassung nach sogar eine Pflicht ist (vgl. ebd. 2000, 4). Er argumentiert folglich normativ, legt den Akteuren eine Handlungslogik der Angemessenheit nahe und definiert auch die angemessenen Bedingungen und Mittel unter und mit denen sie ihrer Pflicht zur Intervention nachkommen sollen.

Woodward argumentiert ebenfalls normativ, sie belegt die Angemessenheit ihrer normativen Argumentation zudem mit empirischen Beispielen. Ihr geht es darum zu zeigen, dass militärische Interventionen kein angemessenes Mittel von Peacemaking sind und auch „humanitäre Hilfe“, die in solche Interventionen eingebettet ist, dazu verdammt ist einer unangemessenen Logik zu folgen oder eine solche zu bestätigen. Sie sieht also die Handlungslogik der Angemessenheit durch die Wahl der Mittel verletzt.

Finnemore hingegen argumentiert nicht normativ, sondern aus einer konstruktivistischen Perspektive normativistisch. Anders als aus institutionalistischer Perspektive, aus der heraus Normen als Regeln der Kooperation verstanden werden und ebenfalls eine entscheidende Rolle spielen, wird Normen aus konstruktivistischer Perspektive ein konstitutiver Charakter zugesprochen. Hierzu ein Zitat von Gert Krell (2000, 246) :
Der Konstruktivismus öffnet das Verständnis von Normen, sie können auch wie die Regeln eines Schachbretts sein, Hier könnte ohne die Regeln gar nicht gespielt werden, denn sie konstituieren das Spiel, sie bestimmen die Rollen der Figuren und ihr Verhältnis zueinander, und sie verleihen Zügen einen Sinn.

Deshalb fragt Finnemore in analytischer Absicht zum einen nach der Veränderung von Normen und nach dem konfliktreichen Spannungsfeld, in dem verschiedene Normen zueinander stehen, in der Annahme, dass beides konstitutiv für das nach Angemessenheit strebende Handeln der Akteure ist. Ihrer analytischen Perspektive liegt jedoch zugleich die Annahme einer diskursiven/argumentativen Handlungslogik der Akteure zugrunde. Das Streben nach Angemessenheit bezeichnet entsprechend ihrer Auffassung nach die Empirie, wohingegen die Annahme einer diskursiven Handlungslogik aus ihrem analytischen Zugang resultiert.

3.2 Inhaltliches


Nach dieser Erläuterung der Argumentationsweisen, sollen kurz die wichtigsten inhaltlichen Argumentationslinien der drei Autoren dargelegt werden, wobei der Schwerpunkt auf dem Aufzeigen von „Knackpunkten“ zu unseren Thesen liegt:

3.2.1 Czempiel

Czempiel bemüht sich, „Einmischung als Nom“ (ebd., 2000, 13) zu etablieren; die Interdependenz, in welcher die Staaten sich miteinander befinden, berechtigt seiner Annahme nach demokratische Staaten, in denen Menschenrechte geachtet werden, nicht nur, sondern verpflichtet sie geradezu zur Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten, in denen Menschenrechte verletzt werden. Als „innere Angelegenheiten“ eines Staates versteht er nicht bestimmte Policy-Bereiche (Innenpolitik), sondern vor allem sein Herrschaftssystem, von ihm definiert als „herrschaftlich geordnetes Verhältnis zwischen einem Politischen System und seiner Gesellschaft in einem geographisch definierbaren Raum“ (ebd., 2000, 5). Wer hierauf versucht einzuwirken, mischt sich ein, so Czempiel. Eben aufgrund der Interdependenz der Staaten ist dies aber geboten (vgl. ebd., 4), allerdings wird die normative Berechtigung zur Einmischung, die Czempiel durch die Interdependenz gegeben sieht, nicht klar; in letzter Konsequenz scheint es sich bei dieser „normativen Berechtigung“ vielmehr um eine aus einem Kosten-Nutzen-Kalkül resultierende Überlegung zu handeln; etwa so : Da man so mit dem anderen Staat verbunden ist, z.B. weil man Migrations-Ströme flüchtender Bevölkerung, Menschen- und Drogenschmuggel, wirtschaftliche Nachteile etc. befürchten muss, wenn dieser sich gegen seine eigene Bevölkerung oder Teile eben dieser wendet, wird man sich wohl einmischen müssen.

Eine angemessene Art der Einmischung ist insbesondere Demokratisierung: „Als generelle Forderung kann daher nach wie vor gelten, dass die Einmischung zugunsten der Demokratisierung eines Herrschaftssystems in einem anderen Land der Gesellschaft dort zugute kommt, demokratietheoretisch gesprochen also dem eigentlichen Träger der Souveränität“ (ebd., 2000, 8).

Allerdings lehnt Czempiel militärische Interventionen eben aufgrund der Undurchsichtigkeit ihrer eigentlichen Gründe ( vgl. Müller oben) ab, insbesondere dann, wenn sie nicht mit einem Mandat einer internationalen Organisation ausgestattet sind; er argumentiert dagegen: „Ist in Zeiten der Interdependenz die Einmischung also geboten, so stellt diese Interdependenz auch die Strategien zur Verfügung, sie vorzunehmen“ (ebd., 2000, 4).

Insbesondere die Förderung einer freien Marktwirtschaft in dem betreffenden Staat versteht Czempiel quasi als Synonym für Demokratisierung; wirtschaftliche Zusammenarbeit und Liberalisierung hält er entsprechend für die angemessensten Strategien der Einmischung.

„Das Musterbeispiel für eine solche Strategie gab die Clinton-Administration 1996, als sie ihre China-Politik endgültig von der Sanktionierung der Menschenrechtsverletzungen umstellte auf die Förderung der Marktwirtschaft. Deren Entwicklung wird das demokratische Herrschaftssystem als unvermeidliches Beiprodukt erzeugen“ (ebd., 2000, 9).
Antwort auf unsere Fragen/Kritik:

• Kann angesichts der Unklarheit über die eigentlichen Gründe für eine demokratische Intervention, eine solche überhaupt aus der Perspektive der Geltung von bestimmten Normen analysiert, geschweige denn unter Berufung auf bestimmte Normen legitimiert werden? Ja, dann wenn ausgeschlossen werden kann, dass sich hinter dieser Intervention nationalstaatliche Interessen verbergen; dies ist entweder der Fall, wenn sie durch das Mandat eine internationalen Organisation legitimiert sind oder wenn sie ohne Gewaltanwendung mit dem Ziel der Demokratisierung durchgeführt werden.
• Wie kann normativ begründet werden, dass bestimmte Staaten das Recht haben, sich in die „inneren Angelegenheiten“ eines anderen einzumischen? Durch die Interdependenz der Staaten in der modernen „Gesellschaftswelt“
• Ist es überhaupt normativ zu rechtfertigen, dass militärische Gewalt zur Verteidigung von Menschenrechten eingesetzt wird, wenn diese doch offenbar unweigerlich zur Folge hat, dass Menschen sterben? Werden hier nicht Menschenleben gegeneinander aufgerechnet im Sinne von „im Zweifelsfall bringen wir lieber die einen um, damit sie die anderen nicht umbringen können“? Siehe erste Frage.

Als Kritik hatten wir vorläufig formuliert: Czempiels Interpretation des Gewaltverbotes in der VN-Charta ist fragwürdig; er schreibt von einem Verbot von Gewalt zur Durchsetzung „politischer Zwecke“, in der Charta ist das Verbot jedoch gegen eine „mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt“ (ebd., Art 2, 4) gerichtet. Wir haben daraufhin gefragt, ob die Ziele der VN somit als unpolitische verstanden werden können, ob die Durchsetzung von Menschenrechten als ein unpolitisches Ziel angesehen werden kann und welcherart wohl das Politikverständnis von Czempiel ist. Die These hinter dieser Frage war ursprünglich, dass hier die Durchsetzung von Menschenrechten aufgrund ihrer universellen Gültigkeit als unpolitisch, also nicht dem „Kampf um die Durchsetzung gesellschaftlicher Werte und Interessen“ unterworfen postuliert wird. In der Diskussion blieben wir an der Frage von Czempiels und anderen unterschiedlichen Politikverständnissen hängen, aber stellten fest, dass im oben genannten Sinne, die Durchsetzung von Menschenrechten ebenso wie die Ziele der VN selbstverständlich politische Ziele sind.

Weitere Kritikpunkte waren Czempiels „Berechtigungskriterium“ (siehe oben) und seine Gleichsetzung von Demokratisierung und ökonomischer Liberalisierung (vgl. hierzu auch für eine Kritik an Peacebuilding in den 1990ern, dem von Roland Paris der gleichen Irrtum unterstellt wird, ebd., 2004, 5 ff., 97 ff.)

3.2.2 Woodward

Es geht Woodward um eine humanitären Ideen und Normen angemessene Einschätzung/Evaluierung demokratischer militärischer Interventionen in und nach „humanitären Katastrophen“, die ihrer Ansicht nach in zwei Schritten erfolgen muss:

• Für eine normative, also auf Angemessenheit und Legitimierung ausgerichtete Evaluierung, ist es nötig, die „Natur“ eines Konflikts und seine Einbettung in die internationalen Machtverhältnisse und globale Politik zu analysieren, um feststellen zu können, ob hier überhaupt eine humanitäre Norm verletzt wurde und es überhaupt um eine humanitäre Norm ging.
• Allerdings ist nicht nur die Legitimität des Eingreifens an sich von Bedeutung, sondern auch die Wahl der Mittel und somit die Operationalisierung der Notwendigkeit und der Legitimität des Eingreifens. (ebd., 2001, 332)

Hieraus ergeben sich drei Fragen, die an eine vermeintliche humanitäre Intervention gestellt werden müssen:
1. Ging es den Eingreifenden (bzw. den Entscheidungsträgern, genauer noch den demokratisch gewählten Exekutiven) überhaupt darum, eine humanitäre Norm zu verteidigen?
2. Wurde tatsächlich eine solche verletzt?
3. War die Wahl der Mittel der Eingreifenden der Verteidigung einer humanitären Norm angemessen?

Hierzu:
1. Vor dem Hintergrund des empirischen Beispiels des Kosovo-Krieges beschreibt Woodward, dass es weder den Eingreifenden um die Verteidigung von Menschenrechten ging, sondern mehr um die Verteidigung ihre Glaubwürdigkeit und damit der Überzeugungskraft ihrer Handlungsfähigkeit: Laut Woodward war die Intervention der NATO nicht die Antwort auf die Gewalt gegen die Kosovo-Albaner und somit begründet in der Verteidigung einer humanitären Norm, sondern vielmehr in dem Wunsch, nicht noch einmal als „Internationale Gemeinschaft“ zu versagen, wie in Bosnien und in Ruanda (ebd., 2001, 333).
2. Zudem ist es Ihrer Einschätzung nach fragwürdig, ob im Kosovo von den Serben tatsächlich humanitäre Normen verletzt wurden; ihre Argumentation stützt sich darauf, dass es den Kosovo-Albanern nicht um Menschenrechte, sondern um nationale Rechte, also um Unabhängigkeit von Rest-Jugoslawien ging. Der „Schleier der humanitären Intervention“ ließ allerdings die Gewalt gegen Nicht-Albaner nicht als humanitäre Katastrophe eigener Ordnung erscheinen, sondern als bedauernswerte aber dennoch verständliche Rache der „eigentlichen Opfer“.
3. Die Hilflosigkeit der humanitären Hilfsorganisationen hat zunehmend dazu geführt, dass diese sich für ein „robustes Mandat“ einsetzen, dass heißt nicht zuletzt, dass mit militärischer Unterstützung dafür gesorgt wird, dass die Hilfslieferungen die Bedürftigen erreichen und dass schutzsuchenden Menschen Schutz - auch militärischer - geboten wird. Dies bedeutet jedoch zugleich, dass humanitäre Hilfe in den militärischen Konflikt eingebunden wird, in die Dynamik der Gewalt eingebettet wird und nicht-intendierte Effekte hat (vgl. hierzu insbesondere Mary Anderson, ich verstehe Woodwards Argumentation aber ihre empirischen Beispiele, insbesondere Srebrenica, sind mehr als fragwürdig). Zudem führt die Vermischung von humanitärer Hilfe und militärischer Gewalt dazu, dass diese militärische Gewalt als unpolitische dargestellt werden kann; wie im Falle des Kosovo, wo es angeblich eben nur um die Verteidigung humanitärer Normen und nicht um die Verwirklichung politischer Ziele – seien es die des „Westens“ oder die der Kosovo-Albaner – ging (ebd., 2001, 341). Angesichts der politischen Folgen militärischer Gewalt, ist es fragwürdig, ob humanitäre Hilfe in diesem Kontext für sich selbst und nach Außen weiter als „unpolitisch“ verstanden werden kann!

Fazit: Es ist eine neue Debatte über die Verteidigung von Menschenrechten notwendig, die sich nicht nur auf die Forderung nach einem „robusten Mandat“ zur Unterstützung von humanitärer Hilfe in „humanitären Katastrophen“ beschränkt, sondern in der vor allem über die Möglichkeiten zur Prävention solcher Katastrophen nachgedacht wird. Außerdem muss sich die „humanitäre Gemeinschaft“ über ihre politische Rolle in „humanitären Interventionen“ bewusst werden.

Antwort auf unsere Fragen/Kritik:

• Kann angesichts der Unklarheit über die eigentlichen Gründe für eine demokratische Intervention, eine solche überhaupt aus der Perspektive der Geltung von bestimmten Normen analysiert, geschweige denn unter Berufung auf bestimmte Normen legitimiert werden? Nein.
• Wie kann normativ begründet werden, dass bestimmte Staaten das Recht haben, sich in die „inneren Angelegenheiten“ eines anderen einzumischen? Dann, wenn es den intervenierenden Staaten tatsächlich um die Verteidigung humanitärer Normen gehen würde und auch tatsächlich – auch aus Sicht derjenigen, in deren Namen interveniert wird, eine humanitäre Norm verletzt worden ist. Allerdings ist es immer fraglich und unwahrscheinlich, dass ein militärisches Eingreifen ein angemessenes Handeln zur Verteidigung humanitärer Normen ist.
• Ist es überhaupt normativ zu rechtfertigen, dass militärische Gewalt zur Verteidigung von Menschenrechten eingesetzt wird, wenn diese doch offenbar unweigerlich zur Folge hat, dass Menschen sterben? Werden hier nicht Menschenleben gegeneinander aufgerechnet im Sinne von „im Zweifelsfall bringen wir lieber die einen um, damit sie die anderen nicht umbringen können“? Nein.

Als Kritik haben wir vorläufig formuliert: Diese hatten wir nur bezüglich einiger ihrer empirischen Beispiele, der Kernaussage, siehe Fazit, stimmten wir zu. Allerdings kamen wir nicht dazu (bzw. haben wir vergessen) in der Diskussion einen weiteren Aspekt ihrer „angemessenen Evaluierung“ zu problematisieren: Kann man wirklich an den jeweils proklamierten Zielen der oder einer der Konfliktgruppen feststellen, ob tatsächlich Menschenrechte verletzt wurden oder ob es eben dieser Konfliktgruppe um die Verteidigung ihrer Menschenrechte ging? Ist es nicht so, dass die Formulierung von politischen Zielen eben auch von der „diskursiven Umgebung“ in einer Gesellschaft abhängt und es den Kosovo-Albanern nicht nur um Unabhängigkeit ging – was sich vielleicht besser kommunizieren ließ – sondern durch Unabhängigkeit und weil es anders nicht sprachlich fassbar und vorstellbar war (bzw. in diesem Fall ist) um die Verteidigung ihrer Menschenrechte?

3.2.3 Finnemore

Finnemore geht davon aus, dass humanitäre Normen konstitutiv für das Handeln derjenigen Akteure sind, die sich an „humanitären Interventionen“ beteiligen; konkret bedeutet dies, dass diese Handlungen erst durch die Geltung humanitärer Normen möglich werden. Ausgehend von dieser Annahme präsentiert sie drei Thesen, anhand derer sie erläutern möchte, warum sich das Handeln der „Internationalen Gemeinschaft“ angesichts „humanitärer Krisen“ oder „humanitärer Katastrophen“ verändert hat.

1. Die Wahrnehmung dessen, was eine „humanitäre Krise“ ausmacht, auf die mit einer Intervention reagiert werden muss, hat sich verändert.
2. Es gibt anerkannte politische und normative Regeln des Umgangs mit „humanitären Krisen“, die allerdings oftmals in Spannungsverhältnissen zueinander stehen und deshalb sowohl die Legitimation als auch die Planung und Durchführung einer „humanitären Intervention“ erschweren. Und:
3. Beides wird zunehmend zum einen internationalen Organisationen und zum anderen Nicht-Regierungs-Organisationen überlassen.

Hierzu führt sie aus

1. Humanitäre Normen gelten tatsächlich in den internationalen Beziehungen und zwar insbesondere für demokratisch gewählte Exekutiven, weil sie bei Nicht-Beachtung im eigenen Land und dann, wenn sie deren Verletzung in anderen Staaten ignorieren, einen „politischen Preis“ für diese Verhalten zahlen müssen. Zugleich haben sich die Erwartungshaltungen gegenüber dem Verhalten von staatlichen Akteuren ihrer Bevölkerung gegenüber verändert: Demokratie ist eine Minimal-Vorsausetzung geworden.
2. „Humanitäre Interventionen“ stehen oftmals im Gegensatz zu den Normen, die sie verteidigen wollen: Dies gilt insbesondere für die Norm der „Selbstbestimmung“ bestimmter Zivil-Bevölkerungen oder Bevölkerungsanteile, in deren Namen oftmals „humanitär interveniert“ wird. Um die Intervention zumindest nachträglich ihrer Fremdbestimmung zu berauben, wird im Peacebuilding deshalb der Schwerpunkt auf Demokratisierung bzw. freie Wahlen gelegt, die letztlich zur Selbstbestimmung führen soll. Dies führt, wie z.B. in Bosnien zu paradoxen Resultaten (ebd., 2000, 12, außerdem Beispiel Afrika, ebd., 2000, 8)
3. Bei der Intervention selbst kommt es internationalen Organisationen zu, diese zu legitimieren. Nach dem Erreichen eines wie auch immer gearteten Friedenabkommens, liegt der Wiederaufbau/das Peacebuilding des intervenierten Staates in Ihrer Verantwortung. Der Grund hierfür liegt darin, dass ihnen sowohl die Experten-Kompetenz in dieser Aufgabe, als auch die Möglichkeit, unparteiisch, also nicht an nationalstaatlich, partikularistischen Interessen orientiert, vorzugehen, zuerkannt wird. Das Ergebnis, welches von ihnen aufgrund dieser Kompetenzen erwartet wird, ist eine erfolgreiche Demokratisierung des betreffenden Staates. Dies führt zu der Entwicklung einer erfolgsorientierten Arbeitslogik dieser internationalen Organisationen, die nicht unbedingt den Bedingungen im zu demokratisierenden Staat angemessen ist. Zudem stellen sich Fragen der Verantwortlichkeit, da diese internationalen Organisationen zwar ein politisch-rationales Ergebnis, nämlich Demokratie, hervorbringen sollen, aber selbst nicht demokratisch legitimiert sind – schon aufgrund der Tatsache, dass sie ohnehin „unpolitisch“ sein sollen.

Antwort auf unsere Fragen/Kritik


• Kann angesichts der Unklarheit über die eigentlichen Gründe für eine demokratische Intervention, eine solche überhaupt aus der Perspektive der Geltung von bestimmten Normen analysiert, geschweige denn unter Berufung auf bestimmte Normen legitimiert werden? Ja, denn die proklamierten Normen gelten tatsächlich, alleine schon deshalb, weil demokratische Exekutiven wissen, dass sie für ein diesen Normen unangemessenes Verhalten einen „politischen Preis“ zahlen müssen.
• Wie kann normativ begründet werden, dass bestimmte Staaten das Recht haben, sich in die „inneren Angelegenheiten“ eines anderen einzumischen? Dadurch, dass diese humanitären Normen tatsächlich gelten und der „eigentliche Grund“ der Intervention sind.
• Ist es überhaupt normativ zu rechtfertigen, dass militärische Gewalt zur Verteidigung von Menschenrechten eingesetzt wird, wenn diese doch offenbar unweigerlich zur Folge hat, dass Menschen sterben? Werden hier nicht Menschenleben gegeneinander aufgerechnet im Sinne von „im Zweifelsfall bringen wir lieber die einen um, damit sie die anderen nicht umbringen können“? Normen stehen zueinander in einem Spannungsverhältnis, im Zweifelsfall müssen politische Entscheidungen getroffen werden, für die Verantwort übernommen werden muss.

Als Kritik haben wir vorläufig formuliert: Finnmores normativistische Perspektive auf „humanitäre Interventionen“ verschleiert das von Müller festgestellte Phänomen, dass es sich hierbei letztlich auch um Kriege handelt, hinter denen bestimmte Motive stecken und die eines bestimmten Framings bedürfen, um die Unterstützung in der Bevölkerung zu mobilisieren. Rechtfertigt die Tatsache, dass dieses Framing sich im Falle humanitärer Interventionen auf die Durchsetzung bestimmter humanitärer Normen bezieht, die Annahme eines qualitativen Unterschieds von „humanitären Interventionen“ und „ganz normalen“ Kriegen?

Diese Frage haben wir, wie nicht anders zu erwarten war, nicht abschließend klären können. Bezüglich Finnemores Analyse kreisten wir in der Diskussion aber dennoch um die Frage nach Sinn und Unsinn ihres analytischen Zugangs; Sven schlug abschließend vor, diesen als eine „professionelle Deformation“ des liberalen Ansatzes zu begreifen, in dem der „Demokratische Frieden“ aus der Gültigkeit von bestimmten Normen friedlicher Konfliktlösung in Demokratien erklärt wird.

4. Was übrig bleiben könnte…

Am Ende unseres Referates blieb unserer Ansicht nach insbesondere unsere zweite These, in etwas erweiterter Form, bedeutungsschwer und unbehaglich im Raum stehen. Sie steht in engem Zusammenhang mit der Annahme oder Ablehnung eines qualitativen Unterschiedes zwischen „demokratischen Interventionen“ und „ganz normalen Kriegen“.

• Für die Möglichkeiten einer Analyse, Evaluierung und auch der Planung einer militärischen Intervention – als letzte Möglichkeit ein wie auch immer vorgestelltes „Schlimmeres“ zu verhindern - und den darauf folgenden Peacebuilding-Bemühungen ist es nicht hilfreich, demokratische militärische Interventionen in erster Linie als etwas normativ „Gutes“ zu verstehen oder verstehen zu wollen. Dies verstellt den Blick auf die - vielleicht nicht intendierten – negativen Seiten und Folgen eines militärischen Eingreifens.

Gleichzeitig muss noch einmal Woodwards Forderung mit dieser These kombiniert werden: Die Konzentration auf Interventionen als „letzte Handlungsmöglichkeit“ verstellt den Blick auf die wichtigere, weil humanere Frage nach Möglichkeiten der Prävention.

Zusätzliche Literatur:


Zur Arbeit humanitärer Hilfsorganisationen und deren „Antinomien“:

Anderson, Mary, 1999: Do No Harm. How Aid can support Peace – or War. London und Boulder/Colorado

Toller Überblick über sämtliche IB-Theorien:

Krell, Gert, 2000: Weltbilder und Weltordnungen. Einführung in die Theorie der internationalen Beziehungen. Baden-Baden

Überblick über und Kritik an „Peacebuilding-Operationen“ in den 1990ern

Paris, Roland, 2004: At War’s End. Building Peace after Civil Conflict. Cambridge

2.1.06

Demokratischer Interventionismus

Sitzung am 3.1.2006

Ausgehend von Harald Müller (2003 und 2004) einerseits, den Texten von Czempiel (2000), Woodward (2001) und Finnemore (2000) andererseits, haben wir für unser Referat drei grundlegende Fragen formuliert, die auf drei Dilemmata hinweisen, denen sich sowohl eine normative Begründung wie auch eine normativistische Analyse demokratischer Interventionen stellen müssen. Die drei Autoren nähern sich diesen Fragen aus unterschiedlichen Perspektiven und mit unterschiedlicher Motivation:

• Kann angesichts der Unklarheit über die eigentlichen Gründe für eine demokratische Intervention, eine solche überhaupt aus der Perspektive der Geltung von bestimmten Normen analysiert, geschweige denn unter Berufung auf bestimmte Normen legitimiert werden?
• Wie kann normativ begründet werden, dass bestimmte Staaten das Recht haben, sich in die „inneren Angelegenheiten“ eines anderen einzumischen?
• Ist es überhaupt normativ zu rechtfertigen, dass militärische Gewalt zur Verteidigung von Menschenrechten eingesetzt wird, wenn diese doch offenbar unweigerlich zur Folge hat, dass Menschen sterben? Werden hier nicht Menschenleben gegeneinander aufgerechnet im Sinne von „im Zweifelsfall bringen wir lieber die einen um, damit sie die anderen nicht umbringen können“?

Zudem haben wir drei Thesen formuliert, die zum einen unserer Darstellung der verschiedenen Texte zugrunde liegen und zum anderen zur Diskussion gestellt werden sollen. Sie beziehen sich auf drei unterschiedliche Ebenen der Betrachtung demokratischer Interventionen; die erste auf eine analytische, die zweite auf eine praxisorientierte und die dritte auf eine normative:

1. Es ist aus einer analytischen Perspektive nicht sinnvoll, demokratische Interventionen aufgrund ihrer normativen Rechtfertigung oder ihrer normativen Rechtfertigbarkeit als etwas qualitativ zutiefst unterschiedliches von anderen Kriegen zu verstehen.
2. Für die Möglichkeiten der Planung und der Evaluierung einer militärischen Intervention und den darauf folgenden Peacebuilding-Bemühungen ist es nicht hilfreich, demokratische militärische Interventionen in erster Linie als etwas normativ „Gutes“ zu verstehen oder verstehen zu wollen. Dies verstellt den Blick auf die - vielleicht nicht intendierten – negativen Seiten und Folgen eines militärischen Eingreifens.
3. Um überhaupt den Versuch unternehmen zu können, insbesondere demokratische militärische Interventionen im Falle von humanitären Katastrophen als etwas normativ „Gutes“ rechtfertigen und legitimieren zu wollen – wie sinnvoll oder weniger sinnvoll dies auch immer sein mag - braucht man Klarheit über die eigentlichen Gründe für diese militärische Intervention.