Democracy & War Online

Informations-Plattform zum Hauptseminar "Demokratischer Frieden - Demokratische Kriege" am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin im Wintersemester 2005/06

5.2.06

Eine Theorie des demokratischen Krieges?

Sitzung am 07.02.06

Lothar Brock (2004): Umrisse einer Theorie des
Demokratischen Krieges


Lothar Brock geht in seinem Aufsatz „Umrisse einer Theorie des Demokratischen Krieges“ der Frage nach, weshalb Demokratien nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes – insbesondere vor dem Hintergrund der neu errungenen Handlungsfähigkeit der Vereinten Nationen - verstärkt auf Formen militärischer Gewaltanwendung gegen Nicht-Demokratien zurückgegriffen und diese insbesondere als „humanitäre Interventionen“ bzw. als „gerechte Kriege“ legitimiert haben.

Zunächst untersucht er dabei, welche Faktoren für die Kriegsaversion von Demokratien untereinander verantwortlich sind, anschließend wo in Bezug auf das Verhalten von Demokratien gegenüber Nicht-Demokratien mögliche Schwächen zu finden sind. Gemäß Russett und Oneal kennzeichnet den Demokratischen (Separat-)Frieden ein so genanntes „Friedensdreieck“, bestehend aus den Elementen Demokratie, internationaler Organisation und Interdependenz, die sich wechselseitig stärken. Diese Konstruktion basiert auf Kants utilitaristischer Erklärung des Demokratischen Frieden sowie normen- und institutionenbezogenen Faktoren.

Wenn nun Demokratien auf Nicht-Demokratien treffen, wirken nach Brock die oben genannten Faktoren durchaus eskalationshemmend, jedoch können sie bei heterogenen Staatenpaaren aufgrund des fehlenden Demokratiefaktors auf Seiten des Gegenübers (vgl. „Friedensdreieck“) nicht ihre volle Wirkung entfalten. Somit wird die Kriegsaversion von Demokratien gegenüber Nicht-Demokratien eingeschränkt. Das beschriebene Friedensdreieck kann sogar – so Brock weiter - in ein Kriegsdreieck umschlagen, da nämlich einerseits die durch die zunehmende Interdependenz erforderliche internationale Regulierung (in Form von internationaler Organisation) real hinter den Erfordernissen zurückbleibt, und andererseits die ungleiche Entwicklung der Staaten hinsichtlich ihres Wohlstandes, ihrer Machtpotenziale, etc. unilaterale Handlungslogiken begünstigt.

Entscheidend ist für Brock, dass das moderne Staatensystem durch zwei kontroverse Logiken gekennzeichnet ist: der Selbstbestimmung der Völker und dem daraus resultierenden Autonomiestreben sowie der notwendigen Selbstbindung der Staaten an bestimmte, kollektive Regeln. Aus diesem Widerspruch leitet Brock schließlich seine Erklärung demokratischer Kriege seit den 1990er Jahren her. Nicht ausreichend indes sei die These, dass die Abgabe von Souveränitätsrechten an internationale Organisationen „entdemokratisierend“ wirke und somit das institutionelle Kernargument für den Demokratischen Frieden unterminiert würde, da diese Tendenzen durch positive Effekte internationaler Kooperation im Rahmen von Institutionen ausgeglichen würden.

Die oben beschriebenen Erklärungsmuster einer potenziell verringerten Kriegsaversion von Demokratien gegenüber Nicht-Demokratien spitzt Brock schließlich durch die Konstruktion einer so genannten „normativen Dissonanz“ zu, die für ihn die spezifisch demokratische Gewaltbereitschaft der vergangenen Jahre seit dem Ende des Ost-West-Konflikts erklären kann. So treten Demokratien verstärkt für die globale Einhaltung universeller Werte – allen voran die Einhaltung der Menschenrechte – ein. Das ungelöste Spannungsverhältnis zwischen Autonomiestreben und Selbstbindung verhindere jedoch bislang, dass die notwendigen Handlungskapazitäten für die effektive Realisierung kollektiver Friedenssicherung dem Bedarf angepasst werden. Das
Dilemma besteht hier darin, dass Demokratien ihre Selbstbindung in internationalen Organisationen solange einschränken, wie diese nicht in eine globale demokratische Struktur eingebunden sind, da sonst ein demokratischer Kontrollverlust zu befürchten wäre. Das Resultat ist die Konstruktion von so genannten „Erzwingungskriegen“ in Form von humanitären Interventionen und gerechten Kriegen um universelle Normen und Rechte zu garantieren, bei denen sie sich auf ein extensives Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung berufen.

Schlussendlich bedeutet dies, dass das eingangs erläuterte Friedensdreieck von Russett/Oneal zum Kriegsdreieck werden kann, indem die Trias „Demokratie, internationale Organisation und Interdependenz“ durch „Demokratien/Nicht-Demokratien, normative Dissonanz und ungleiche Entwicklung“ ersetzt wird.

Christopher Daase 2004: Demokratischer Frieden – Demokratischer Krieg: Drei Gründe für die Unfriedlichkeit von Demokrarien.Eine Theoriedes demokratischen Krieges?

Die Theorie des demokratischen Friedens bleibt unvollständig, wenn nicht auch die Kriegführung von Demokratien erklärt wird. Es sind dieselben Gründe, die zwischen Demokratien Frieden stiften, und die Demokratien zum Krieg gegen Nicht-Demokratien führen. Ein Teil von der Theorie ist Germeinschaftsbildung. Die demokratische Gemeinschaftsbildung fördert einerseits gemeinsame Institutionen, Werte und sicherheitspolitische Kooperation, anderseits fördert dieselbe Gemeinschaftsbildung eine Ausgrenzung und Konfliktbereitschaft gegenüber Nicht-Demokratien. Daase konzentriert sich auf drei Gründe, warum Demokratien untereinander friedlich und gegenüber Nicht-Demokratien streitbar sind.
– institutionelle Gründe
– normative Gründe
– politische Gründe

Institutionelle Gründe
Die demokratischen Institutionen sind friedensförderend, weil die Entscheidungsprozesse transparent und die Stukturen fragmentiert sind. Aber die gleichen Institutionen können auch zum demokratischen Krieg führen. Kriegführung als Ablenkung ist z.B eine Art einer demokratische Regierung, die Institutionen benutzen kann. Positiver Ausgang von Kriegshandlungen hat ein rally `round the flag-Effekt (um den Präsidenten zu sammeln) und garantiert eine hohe Zustimmungsrate. Der paradoxiale Effekt von den Institutionen ist, dass die Entscheidungsrahmen sich in Krisensituationen verengen. In den USA kann die exekutive Autorität im Krieg und Kriesenzeiten ihren Handlungsspielraum ausbauen und unabhängig vom Kongress über den Einsatz militärischer Macht entscheiden. Dies ist auch problematisch, weil der Krieg gegen den Terrorismus räumlich und zeitlich unbegrenzt ist. Die amerikanische Regierung hat auch verdeckte militärische Operationen benutzt. Das heisst, dass die amerikanische Regierung militärische Aktionen führt, ohne den Kongress zu konsultieren.

Normative Gründe

Allgemeine individuelle Freiheit und Würde sind gemeinsame Werte, die die Demokratien teilen. Diese führen zu einer gegenseitigen Anerkennung zwischen Demokratien. Aber die gleichen Normen führen auch zu einer Ausgrenzung und Delegitimierung von Nicht-Demokratien. Die normativen Gründe führen zu einer Friedlosigkeit gegenüber Nicht-Demokratien, wenn Demokratien sich als weltweiter Verteidiger von individuellen Freiheiten sehen. Die Werte verhindern zwar Kriege zwischen Demokratien, sie machen aber trotzdem gleichzeitig Kriege gegen Nicht-Demokratien wahrscheinlicher.

Politische Gründe
Die Bildung von demokratischen Sicherheitsgemeinschaften hat eine interne friedensfördernde Wirkung, birgt aber auch potenzielle Bedrohungen, weil sie andere ausschließt. Mehr noch: «The world must be made safe for Democracy». Es liegt in den demokratischen Sicherheitsinteressen, demokratische Kriege zu führen - oder der demokratische Friede bewährt sich im demokratischen Krieg.